Rahmenplan vom Senat für Bildung, Jugend und Wissenschaft für die Zusatzqualifikation zur Facherzieherin/zum Facherzieher für Integration


Einleitung:

Das Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege (Kindertagesförderungsgesetz – KitaFöG) vom 23. Juni 2005 (zuletzt geändert durch Artikel II des Gesetzes vom 13.07.2011 (GVBl. S. 344) sieht die gemeinsame Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderung in Tageseinrichtungen als Regelfall vor. Wörtlich heißt es in § 6 Abs. 1: „Keinem Kind darf auf Grund der Art und Schwere seiner Behinderung oder seines besonderen Förderungsbedarfs die Aufnahme in eine Tageseinrichtung verwehrt werden. Kinder mit Behinderungen werden in der Regel gemeinsam mit anderen Kindern in integrativ arbeitenden Gruppen gefördert.“ Um zu sichern, dass Kinder mit Behinderung entsprechend ihrem zusätzlichen Bedarf an heilpädagogischer Förderung und Unterstützung im Alltag der Kindertagesstätte betreut werden können, sind solche integrativen Gruppen mit zusätzlichem Fachpersonal für das Kind mit Behinderung auszustatten. „Zu den Aufgaben des zusätzlichen Personals gehört die Unterstützung des Integrationsprozesses der einzelnen Kinder einschließlich der mit der Integration verbundenen Koordinierungsaufgaben innerhalb und außerhalb der Einrichtung“ (§ 16 Abs. 4 Satz 1 VOKitaFöG). Die eingesetzte Fachkraft soll über die in § 16 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1-3 VOKitaFöG aufgeführten Qualifikationen oder eine Zusatzqualifikation für die integrative Arbeit mit Kindern mit Behinderung verfügen. Der vorliegende Rahmenplan formuliert den Standard einer Zusatzqualifikation entsprechend § 16 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 VOKitaFöG.

Der zeitliche Umfang beträgt 92 Doppelstunden (184 Kursstunden mit einer Dauer von je 45 Minuten) und sollte in der Regel einen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten nicht überschreiten. Zusätzlich zu diesen Präsenzzeiten ist Zeit für Selbststudium und Erstellung der Abschlussarbeit einzuplanen. Lernziele und Inhalte dieser Zusatzqualifikation sind an der fachlichen Zielsetzung einer Integration von Kindern mit Behinderung orientiert. Mit dieser Zusatzqualifikation wird ein Mindeststandard vorgegeben, der nach Möglichkeit im Prozess der Arbeit durch vertiefende Fortbildungsangebote zu einzelnen Themenbereichen ergänzt werden sollte.

1. Die Bedeutung und Entwicklung integrativer/inklusiver Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland und im Land Berlin/Historische Dimensionen


Lernziele/Inhalte:
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen

  • die rechtlichen Grundlagen (UN-Behindertenrechtskonvention, SGB VIII, SGB IX, KitaFöG, VOKitaFöG, SGB XII § 53, 54) und deren Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis kennen, sowie Kenntnisse über die in den gesetzlichen Grundlagen relevanten Datenschutzbestimmungen insbesondere § 61 SGB VIII erhalten,
  • Kenntnisse über die Frühförderung und die Frühförderungsverordnung (FrühV) und der Rahmenvereinbarung zur sozialpädiatrischen Versorgung im Land Berlin nach SGB IX § 30erhalten,
  • über ein Verständnis über den Paradigmenwechsel von der Integration zur Inklusion verfügen,
  • einen Überblick über unterschiedliche pädagogische Ansätze in der integrativen/inklusiven Bildung und Erziehung anhand von Beispielen erhalten,
  • sich in das Verfahren zur Aufnahme und Betreuung von Kindern mit Behinderung in Berliner Kindertageseinrichtungen einarbeiten

2. Vertiefungsaspekte der menschlichen Entwicklung bezogen auf Integration/ Inklusion


Lernziele/Inhalte:
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen

  • einen vertiefenden Überblick über die für die Integrationspädagogik relevanten Fragestellungen der Entwicklungspsychologie an Fallbeispielen aus der Praxis der integrativen Bildung und Erziehung gewinnen,
  • erkennen, dass Theorien im Rahmen von übergeordneten Menschenbildern formuliert werden und ihr jeweils eigenes Bild vom Menschen reflektieren und weiterentwickeln,
  • entwicklungspsychologische Ansätze kennen lernen, die für das Verständnis der Handlungs-, Lern- und Kooperationsfähigkeit der Menschen allgemein und für die Praxis der integrativen Bildung und Erziehung von zentraler Bedeutung sind,
  • ausgewählte Aspekte entwicklungspsychologischer Grundlagen zur Spielentwicklung, zum Erwerb der sozialen, emotionalen, kognitiven, motorischen und sprachlich/kommunikativen Entwicklung von Kindern vertiefen,
  • sich mit der Bindungstheorie und Resilienz auseinandersetzen,
  • die Begriffe „Störung“, „Beeinträchtigung“, „Behinderung“ und „Krankheit“ differenzieren können und verstehen, dass „Behinderung“ auch ein Ergebnis eines sozialen Bewertungsprozesses ist,
  • sich mit unterschiedlichen Risikofaktoren frühkindlicher Entwicklung auseinandersetzen und Indikatoren kennen, die auf konkrete Gefährdung eines Kindes hinweisen können

3. Beobachtung und Beobachtungsverfahren


Lernziele/Inhalte:
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen

  • verschiedene Beobachtungsinstrumente kennen lernen und ihren Einsatz an Hand von Fallbeispielen erproben,
  • Beobachtungsverfahren zur Einschätzung der kindlichen Entwicklung einsetzen und kombinieren, sowie Möglichkeiten und Grenzen von Beobachtungsbögen erkennen können,
  • den individuellen Bedürfnissen des Kindes mit dem Blick auf Ressourcen, Kompetenzen und Entwicklungsproblemen gerecht werden,
  • eine situationsbezogene Beobachtungsplanung entwickeln können und dabei Über- und Unterforderung erkennen.

4. Individuelle Verläufe der kindlichen Entwicklung und Förderung


Lernziele/Inhalte:
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen

  • Ursachen unterschiedlicher Förderbedarfe und ihre Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung einschätzen lernen,
  • einen Überblick über Förderdiagnostik und der Kind-Umwelt-Diagnostik erhalten,
  • das Verhältnis von Bildung und Erziehung, Förderung und Therapie und die Rolle der Erzieherinnen und Erzieher in der integrativen Arbeit erkennen und gestalten können,
  • einen Überblick über verschiedene Therapieformen und -ansätze und über Handhabungs-, Lagerungs- und Hilfsmittel erhalten,
  • einen Förderplan (Berliner Förderplan) in Kooperation mit der Familie, ggf. mit der Kinder- und Jugendambulanz/Sozialpädiatrisches Zentrum (KJA/SPZ) hinsichtlich der Frühförderung erarbeiten, der sowohl ganzheitlich im Alltag des Kindes ausgerichtete Maßnahmen und Ziele festhält als auch spezifische Fördermaßnahmen umfasst.

5. Sozialpädagogische Methoden für die differenzierte Gruppenarbeit


Lernziele/Inhalte:
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen

  • sich mit einer anregungsreichen und flexiblen Gestaltung des pädagogischen Alltags auseinandersetzen, um allen Kindern gleichermaßen den Zugang zu allen Bildungsprozessen zu ermöglichen,
  • die Bedeutung der Binnendifferenzierung in der pädagogischen Arbeit unter dem Gesichtspunkt von gemeinsamen Lern- und Spielprozessen von Kindern mit und ohne Behinderung erfahren und in der eigenen Praxis anwenden lernen (Kleingruppenarbeit),
  • Projektarbeit als konzeptionelle Grundlage für die Arbeit in Integrationsgruppen anwenden und auf die eigene pädagogische Praxis beziehen können,
  • Überlegungen zur pädagogischen Planung und zur Überprüfung von Lern- und Förderzielen der integrativen Arbeit thematisieren können,
  • gruppendynamische Ausgrenzungsmechanismen erkennen und gegensteuern können.

6. Familienorientierte Arbeit


Lernziele/Inhalte:
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen

  • die individuelle und gesellschaftliche Situation von Familien, die ein Kind mit Behinderung haben, verstehen und den Prozess der Verarbeitung dieser Situation angemessen begleiten und unterstützen können,
  • die eigene professionelle Haltung gegenüber den Familien reflektieren und einen Perspektivenwechsel vornehmen können,
  • die inhaltlichen und methodischen Konsequenzen erkennen, die sich aus den spezifischen Aufgaben der Zusammenarbeit mit Familien in integrativen Gruppen ergeben,
  • Konzepte der Familienberatung mit besonderer Berücksichtigung von Vielfalt in Familienkulturen entwickeln,
  • in gemeinsamer Erziehungspartnerschaft mit den Familien Entwicklungs- und Bildungsziele in Entwicklungsgesprächen vereinbaren,
  • herausfordernde Gespräche mit den Familien/Eltern führen können,
  • die Familien in Übergangssituationen (z.B. beim Übergang von der Kindertagesstätte in die Schule) beraten.

7. Kooperation der Fachkräfte im Feld der Pädagogik, Therapie, Medizin und mit weiteren Institutionen


Lernziele/Inhalte:
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen

  • Formen der Kooperation mit therapeutischem und medizinischem Fachpersonal aufbauen und aktiv gestalten können,
  • Einrichtungsübergreifende Kontakte zu Diagnose- und Beratungseinrichtungen sowie zu Kinder- und Jugendambulanzen/SPZ aufbauen,
  • Kooperationen mit Lehr- und anderen Fachkräften in Grundschulen und Ansätze der Gestaltung des Übergangs von der Integrationsgruppe in der Kindertageseinrichtung zur Schule gestalten können.

8. Die Rolle der Facherzieherin/des Facherziehers für Integration als Multiplikator/-in in enger Kooperation mit der Leitung


Lernziele/Inhalte:
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen

  • die pädagogischen Fachkräfte in ihrer Einrichtung zur Entwicklung des Kindes und zur Planung und Durchführung von fördernden Angeboten unterstützen und beraten,
  • Qualifizierungsbedarf und Unterstützungswünsche des Teams gemeinsam mit der Leitung koordinieren,
  • regelmäßige Besprechungstermine mit der Leitung zu integrations-/inklusionspädagogischen Themen und zum Verfahren der Aufnahme und Betreuung von Kindern mit Behinderung vereinbaren,
  • im Team eine Kultur und Struktur des Austauschs, der Reflexion und der kollegialen Beratung für Fallbesprechungen und integrations-/inklusionspädagogische Themen etablieren,
  • bei der Entwicklung eines integrativen/inklusiven Einrichtungskonzepts unterstützen und beraten.

Zugangsvoraussetzungen

Grundlage für die Teilnahme an einem Lehrgang zum Erwerb der Zusatzqualifikation einer Facherzieherin/ eines Facherziehers für Integration ist die staatliche Anerkennung als Erzieherin bzw. Erzieher oder eine als sozialpädagogische Fachkraft anerkannte Ausbildung. In der Regel ist eine zweijährige Berufserfahrung wünschenswert. Außerdem muss bei der Bewerbung eine Dienstbefreiung durch den Arbeitgeber vorgelegt werden.

Es wird darauf hingewiesen, dass mit dem Erwerb der Zusatzqualifikation keine unmittelbaren tarifrechtlichen Auswirkungen verbunden sind.

Arbeitsformen in der Qualifizierung

Vorbild für das methodische Vorgehen stellen teilnehmerorientierte Konzepte der Erwachsenenbildung dar. Die Arbeitsformen sollen neben der Wissensvermittlung Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch, Erprobungsphasen zur Förderung der Handlungskompetenz, Praxisaufgaben und Übungen zur Selbsterfahrung und Gruppenanalyse (Rollenspiel, Fallarbeit usw.) enthalten. Um zusammenhängende Lernprozesse zu ermöglichen, sollte der Qualifizierungslehrgang durchgehend von wenigstens einer Dozentin/einem Dozenten begleitet werden; der Lehrgang sollte überwiegend Blockseminare von zwei bis fünf Tagen Dauer umfassen. Der vorgegebene Stundenumfang ist bei den meisten Modulen variabel angegeben. Dies soll den Bildungsträgern im Rahmen der Vorgaben eigene Schwerpunktsetzungen bzw. Vertiefungen ermöglichen. In der Summe muss jedoch auf jeden Fall die erforderliche Gesamtstundenzahl von 92 Doppelstunden erreicht werden.

Standards für Abschlussarbeiten

Das Thema der Abschlussarbeit kann sich aus einem Entwicklungsbericht, aus einer Beobachtungsübung, der Darstellung eines Behinderungsbildes, aus den Kursinhalten oder der Erstellung eines Förderplanes ergeben. Wesentlich ist der Praxisbezug und eine integrations-/inklusionspädagogisch relevante Fragestellung.

Die Arbeit sollte bei einem Zeilenabstand von 1,5 acht bis zehn Seiten pro Person ohne Anhang umfassen. Hinweise zur Gliederung, zur Zitierweise, Literaturangaben etc. werden den Teilnehmenden in Form eines Leitfadens zur Verfügung gestellt. Einzelbeiträge im Rahmen einer Gruppenarbeit sind namentlich zu kennzeichnen.

Die Dozentinnen und Dozenten geben Unterstützung bei der Themenfindung. Ein enger Theorie- Praxis-Bezug ist wesentlich. Eigene Forschungsfragen der Kursteilnehmer/-innen sollten in der Abschlussarbeit sichtbar werden. Zur Förderung von Integrationsprozessen bei den Teilnehmenden selbst wird empfohlen, die Hausarbeit als Kleingruppe zu erarbeiten. Die Gruppen sollen in der Regel nicht mehr als vier Personen umfassen. Eine Beratung vor Fertigstellung der Hausarbeit sowie bei Störungen im Gruppenprozess wird angeboten. Die Abschlussarbeit wird von den Dozentinnen und Dozenten gelesen und den Verfasserinnen und Verfassern eine Rückmeldung gegeben.

Abschlussphase

Der Qualifizierungslehrgang schließt mit einem Kolloquium ab, bei dem die schriftliche Abschlussarbeit vorgestellt wird. Zur Abschlussprüfung werden Absolventinnen und Absolventen zugelassen, die mindestens 80% des Qualifizierungslehrgangs besucht, sich aktiv am Lehrgeschehen beteiligt und ihre Abschlussarbeit fristgerecht und den Anforderungen entsprechend abgegeben haben. Die für Jugend zuständige Senatsverwaltung kann eine Beauftragte oder einen Beauftragten zur Teilnahme am Kolloquium entsenden. Die Absolventinnen und Absolventen erhalten eine schriftliche Bestätigung über die erfolgreiche Teilnahme an einer durch die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung anerkannten Qualifizierungsmaßnahme.

Aus dem Rahmenplan der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft

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